Paul Henzinger

Singende Drummer sind nach wie vor eine Rarität. Wie viel Koordination dazu notwendig ist, kann man bei Paul Henzinger beobachten. Der Tiroler ist auch ein Beispiel dafür, wie gut diese Doppelrolle funktionieren kann. Noch dazu, wenn dabei ordentlich der Bär steppt, wie bei seiner Band Midriff.

Du bist sowohl Sänger als auch Drummer bei Midriff. Wie löst du das sound-technisch auf der Bühne?

Das ist schwierig. Ich meine, angefangen hat das mit dem Singen als Notlösung. Das ist es ja meistens, wenn ein Schlagzeuger singt. Jedenfalls war es am Anfang schrecklich, weil es oft kein richtiges Mikro gegeben hat. Wir haben viel Metal gespielt, also war der Sound für mich eine Katastrophe. Ich habe es dann einige Zeit lang mit E-Drums versucht und da war es kein Problem, mit Headset zu spielen. Diese Headsets sind von der Charakteristik her Kugeln, also primär für Vortragende, die sich dabei bewegen. Dadurch sind sie aber nur selten geschützt vor Umgebungsgeräuschen. Ich habe sehr lange gebraucht, um ein richtiges Modell zu finden und beim akustischen Schlagzeug ist der Sound dabei sehr sensibel, wenn Hi-Hat und Snare auch mit abgenommen werden. Anstrengend ist für mich, dass ich immer lauter sein muss als das Schlagzeug und gleichzeitig an der Kapsel vorbei atmen muss, um Störgeräusche zu verhindern. Gleichzeitig muss der Oberkörper immer möglichst ruhig bleiben zum Singen.

Glaubst du, dass du dadurch stilistisch simpler spielst?

Ja, definitiv. Ich habe mir mit der Zeit auch angewöhnt, so zurückhaltend wie möglich zu spielen. Ich werde oft von anderen Schlagzeugern ausgelacht, weil ich 7A Sticks spiele, die ja eigentlich Jazzstöcke sind und viel leiser.

Bereitest du dich vor Auftritten eher auf das Singen vor oder ist da schon das Drummen im Mittelpunkt? Wie handhabst du diese Doppelbelastung?

Ich mache schon auch unabhängige Gesangsübungen. Beim Spielen selber zählt es dann aber recht wenig, weil ich so mit dem Schnaufen beschäftigt bin. Durch das viele Bewegen ist der Puls relativ hoch, weil ich nicht normal schnaufen kann, wie jeder andere Schlagzeuger. Ich muss mir das für das Singen zurückhalten, dadurch bekomme ich zu wenig Sauerstoff und das Herz gibt Vollgas.

Und auf der anderen Seite kannst du dich nicht wie jeder andere Sänger auf den Gesang konzentrieren?

Genau, deshalb weiß ich eigentlich nicht genau, wie ich das mit der Zeit gemeistert habe. Ich denke, ich habe das einfach automatisch viel geübt. Primär beschäftigt mich dabei natürlich schon die Atmung, um genug Luft für beides zu haben.

Hattest du Schlagzeuger, bei denen du dir etwas abgeschaut hast für diese Technik? Es gibt ja eigentlich nur wenige Beispiele dafür.

Nein, überhaupt nicht eigentlich. Ich habe vor circa fünfzehn Jahren damit begonnen und es war wie gesagt eine Notlösung, da niemand anderer singen wollte. An mir ist es dann irgendwann hängengeblieben in meiner Band. Aber ich bin zufrieden damit und es macht mir Spaß. Dass es da auch bekannte Beispiele gibt, darauf bin ich erst viel später gekommen. Es gibt ja wirklich nicht viele, die das primär machen.

Hast du schon vorher gesungen oder auch erst durch das Schlagzeugspielen damit angefangen?

Zuerst habe ich mit dem Schlagzeug angefangen und es mir selber beigebracht. Aber ich war nie der Technik-Freak, ich wollte nie virtuos sein. Ich war knapp über zehn Jahre alt und ein Onkel von mir hatte ein uraltes Sonor-Set zuhause und hat mir das geliehen. Da ist es dann losgegangen und ich habe auch andere Instrumente ausprobiert, aber beim Schlagzeug war's einfach dieser Rhythmus! Für wen nicht? (lacht)

Aber war es erst das Schlagzeug oder hattest du schon vorher eine große Begeisterung für Musik?

Die war schon vorher da. Was ich wohl am besten kann, ist hören. Ich bin, meiner eigenen Einschätzung nach, eigentlich ein schlechter Musikmacher, aber ein guter Musikhörer. Vor allem mit meinem Vater habe ich wahnsinnig viel Musik gehört und auch sehr viele verschiedene Richtungen. Als kleines Kind am liebsten Pink Floyd, das höre ich also wirklich schon seit ich auf der Welt bin. Aber auch Klassik oder Deep Purple. Generell ist bis heute das erdig-rockige mein Zuhause, also eher sehr bodenständige Musik. Virtuosität hat mir dagegen nie wirklich viel gegeben und wenn ich Leuten wie Steve Vai zuhöre, die auf ihre Art schon faszinierend sind, dann brauche ich nach einiger Zeit wieder stupides AC/DC zur Regeneration. (lacht) Aber ich glaube, dass ich mich da einfach zu wenig auskenne damit, um es interessant zu finden. Einige Freunde von mir haben Musik studiert und sind technisch auf einem ganz anderen Level als ich. Für die ist das sicher interessant. Aber ich bin dazu einfach zu wenig Techniker.

Also bist du auch kein typischer Tüftler, der sich endlos mit Rudiments und Technik beschäftigt?

Sehr wenig eigentlich. Für mich standen immer andere Sachen im Vordergrund und ich war – leider, aus heutiger Sicht – nie ein besonderer Ehrgeizler. Ein Freund von mir beispielsweise, hat mit mir gemeinsam begonnen, Schlagzeug zu lernen und ihm hat die ganze Theorie irrsinnig getaugt. Er hat dann später auch studiert. Wir hatten damals gemeinsam Unterricht und mich hat die Theorie überhaupt nicht interessiert, also haben wir uns ausgemacht, dass er zuerst spielt, ich mir das anhöre und dann nachspiele. Da habe ich dann meistens achtzig neunzig Prozent wiedergeben können. Das hat gereicht für die Musikschule. Aber studieren wollte ich nie, denn erstens hat mir der Biss gefehlt und zweitens habe ich mir gedacht: Wofür eigentlich? Im Endeffekt wird man dann Musikschullehrer. Ich werde zwar auch Lehrer, allerdings in der Volksschule. Dort sehe ich sogar die größere Chance, Kinder für Musik zu begeistern, es ist genau das Alter, in dem man diese Verbindung herstellen und ihnen den Spaß daran vermitteln kann.

Welche Musik war für Midriff besonders wichtig?

Metallica war mein Sound, sprich ich bin ein Kind der Metallica-Generation. Das haben wir in der Jugend am meisten gehört und versucht zu spielen. Ich höre es nach wie vor wahnsinnig gern, aber irgendwie bin ich persönlich ein bisschen aus diesem Metal-Sound rausgewachsen. Mit meiner damaligen Band wollten wir aber anfangs nicht sofort Auftritte haben, sondern es ging uns rein um den Spaß. Später kamen bei uns allen dann auch Alter Bridge und Audioslave als große Einflüsse dazu. Meine Kollegen sind noch mehr im Metal und der Stoner-Richtung unterwegs. Aber generell hört man bei uns die verschiedenen Einflüsse eines jeden Einzelnen in der Band. Bei den gerade erst entstandenen Songs und bei denen, die noch in Bearbeitung sind, merkt man vielleicht, dass wir wahnsinnig viel Audioslave gehört haben in der Zeit. Die haben dieses gewisse Rohe im Sound.

Gibt es eine eine Hierarchie in der Band? Wie organisiert ihr euch da untereinander?

Nein, wir wollten nie einen Chef haben, wir dachten nie darüber nach. Wir schauen einfach, dass jeder das macht, was er gut kann. Unser Gitarrist macht die Online-Gestaltung und die Grafiken, unser Bassist ist für das Management zuständig und hat seinen Spaß dran – was ich absolut nicht verstehen kann. (lacht) Aber er macht es eben gern und sehr gut. Ich bin dann eher der alte Weise vom Dorf, der sich um die Soundtechnik kümmert. Wir haben alle gemeinsam diesen Knick, den man für so etwas braucht. Man investiert ja wahnsinnig viel Zeit und braucht dafür viel Leidenschaft. Wir studieren alle und sind auch alle in einer Beziehung, also ist die restliche Zeit komplett für die Band reserviert. Für Freunde bleibt nicht viel Zeit. Als Musiker hat man keine Freunde, man hat Bandkollegen. (lacht)

Wie viel seid ihr eigentlich unterwegs?

Im letzten Jahr waren es circa 50 Auftritte. Natürlich waren auch ein paar Mal – in Basel beispielsweise – wenige Leute da, aber wir haben bei allen großen Spaß gehabt. Jetzt haben wir gerade das neue Album in Arbeit und wollen im Frühjahr mit den Aufnahmen beginnen. Außerdem steht im April eine Support-Tour durch ganz Europa an.

Hast du gewisse Rituale direkt vor einem Gig?

Ich bin meistens damit beschäftig, das Technische zu erledigen. Ich habe meist mein eigenes Schlagzeug mit und aufgrund des Singens alles separat mikrophoniert und separat verkabelt. Wir haben immer unseren eigenen Monitormischer dabei und für Bass und Schlagzeug alles in-ear. Unser Gitarrist braucht nur die Stimme über Monitor und das reicht. Auf diese Weise können wir garantieren, dass wir auf der Bühne immer den gleichen Sound haben und das ist uns auch sehr wichtig. Rituale habe ich eigentlich nur, wenn ich gesundheitlich angeschlagen bin. Dann muss ich darauf achten, dass ich meine Stimmbänder in eine gute Lage bringe, damit sie nicht ihren Dienst qittieren.

Um auf die Inspiration am Set zurückzukommen - gab es da besondere Persönlichkeiten für dich?

Nick Mason von Pink Floyd ist für mich nach wie vor ein echter Sir am Schlagzeug, einfach in der Art, wie er es spielt. Viele Schlagzeuger haben ihren eigenen unverkennbaren Sound. Lars Ulrich zum Beispiel, der für diese Art von Musik kein wirklich guter Drummer ist, aber man erkennt ihn unter Tausenden und würde jemand anderer spielen, wäre das wohl zu sauber. Das hat Metallica auch so besonders gemacht.

Oft macht eine nicht perfekte, eigenwillige Technik den Sound erst aus. Sind es also manche „Fehler“, welche die Musik beleben?

Ja und vor allem, wie man mit den Fehlern umgeht. Wieso sollen wir vorgaukeln, wir wären Maschinen? Heute soll alles so perfekt wie möglich sein und ich glaube, dass da viel Leben verloren geht. Ein gewisser Ehrgeiz ist gut, aber es sind so viele Leute zu verbissen und nur darauf fokussiert, großen Erfolg zu haben. Was uns wichtig ist, ist der Arbeitsethos, dass man es gern macht. Wir rechnen jetzt nicht damit, dass wir einen Durchbruch schaffen, sondern machen das was uns Spaß macht und wenn nicht mehr geht, ist das auch nicht tragisch.

Du magst es, wenn Aufnahmen roh klingen. Wie agierst du da selbst bei euren Recordings?

Was mir an Spieltechnik fehlt, habe ich dafür beim Sound vom Schlagzeug. Ich habe mittlerweile ein bisschen einen Vogel was das Stimmen betrifft. Auf der einen Seite mache ich es sehr gerne, aber es macht mich wahnsinnig, wenn ein Schlagzeug verstimmt ist. Das macht mich fertig und das ist meistens stark abhängig vom Raum. Man kann sich ein super teures Set kaufen, aber wenn man nicht weiß, wie man es für die Umgebung richtig stimmt, klingt es trotzdem schlecht. Beim Aufnehmen lernt man in dieser Hinsicht immer viel dazu. Es ist aber mittlerweile schwieriger, einen guten rohen Sound zu bekommen als einen glatten. Für uns war es am besten mit zwei Gitarrenspuren hintereinander eingespielt und komplett in Mono. Dann klingt die Hütte fett.

Interview: Moritz Nowak