Andreas Lettner

Unser Drummer des Monats Juni ist Andreas Lettner. Als Schlagzeuger in Projekten wie Lylit, 5K HD oder Synesthetic4 gestaltet er die aktuelle österreichische Musikszene mit und sorgt auch als Produzent von diversen Projekten für spannende Beats und Sounds. Wir haben ihn gefragt, welche Vorzüge eine Recording-Session mit Meerblick hat und welche Parallelen er zwischen dem Schlagzeugspielen und Produzieren sieht.
Von Patrick Tilg

Woher kommt deine Liebe zum Schlagzeug und wie hat alles begonnen?

Ich komme aus einer sehr musikalischen Familie. Mein Vater hat 25 Jahre lang die örtliche Trachtenmusikkapelle geleitet, bevor er sie meinem ältesten Bruder übergab. Ein weiterer Bruder von mir ist ebenso Schlagzeuger – Christian Lettner. Er spielt mitunter bei Klaus Doldingers Passport und hat mich mit Sicherheit sehr stark beeinflusst, als ich selber zu spielen begann.

Wer sind deine größten musikalischen Einflüsse? Also sowohl am Schlagzeug, als auch insgesamt.

Mein Bruder Christian hatte anfangs sicherlich großen Einfluss auf meine musikalische Entwicklung. Später kam die größte Inspiration von J Dilla, Tony Williams, Aphex Twin, Questlove, Eric Valentine, Chris Dave, Soulquarians, James Blake, Blake Mills, Al Schmitt und allen Künstlern, mit denen ich arbeiten durfte.

In welchen Projekten bist du aktuell aktives Mitglied als Drummer?

Bei Lylit, 5K HD und Synesthetic 4.

Bei 5K HD hast du die Position von Lukas König übernommen, der noch bis Ende 2019 das Schlagzeug besetzte. Wie kam es zur Zusammenarbeit?

Prinzipiell kennen wir uns alle schon lange und haben in den verschiedensten Projekten zusammengearbeitet. Wir schätzen uns sehr und sind Fans der verschiedenen Bands, in denen wir tätig sind. Benny Omerzell spielt Keys bei Lylit und mit Manu Mayr spiele ich ja auch bei Synesthetic 4 zusammen. Es hat einfach gepasst und als sie an mich herangetreten sind, Lukas als Bandmitglied zu ersetzen, habe ich gerne zugesagt.

Vor kurzem hast du mit Synesthetic4 eine neue Single veröffentlicht. Dort sind deutlich verschrobenere Beats zu hören, als etwa bei Lylit. Würdest du dich selbst eher als Pop-, Jazz- oder Avantgarde-Schlagzeuger bezeichnen? Oder hältst du gar nicht so viel von Schubladen und Genre-Begriffen und machst vielmehr das, was dir gerade gefällt?

Ich sehe mich als Musiker, der immer versucht, der Musik bzw. der Komposition zu dienen. Durch die vielschichtigen musikalischen Erfahrungen habe ich mich immer frei gefühlt. Ich mag alles, was gut ist, egal welches Genre.

Mit Lylit habt ihr laut einem FM4 Album-Review in einem Steinhaus in der Toskana geschrieben und reco rded. Wie kam es dazu und was hat euch dort besonders inspiriert?

Wir hatten die Idee schon länger. Wir wollten einfach ohne Ablenkung und ohne Alltagsangelegenheiten Musik machen und uns von einem außergewöhnlichen Ort inspirieren lassen. Per Zufall erfuhren wir dann von diesem Platz in Camaiore, haben unser Auto mit dem nötigen Equipment vollgeladen und uns auf den Weg gemacht. Dort haben wir dann tatsächlich den Großteil unseres aktuellen Albums »Inward – Outward« geschrieben und aufgenommen. Das kleine Steinhaus, in dem wir wohnten, ist relativ hoch gelegen und mit einem fantastischen Blick auf das Meer ausgestattet. Zufällig klang der Raum, in dem wir arbeiteten, auch noch extrem gut – ein perfekter Zufall quasi.

Wo liegt für dich der Unterschied zum Recording-Prozess, etwa in einem Wiener Souterrain-Tonstudio? Ist an dieser romantisierten Vorstellung des abgeschotteten Künstlers im leerstehenden Haus, fern ab vom täglichen Leben doch etwas dran?

Für mich liegt der Unterschied hauptsächlich am Fokus. Es ist für mich einfacher, in dieser abgeschotteten Gegend, ohne den ganzen Verpflichtungen neben dem Musikmachen, klar und frei zu sein. Ich komm dann leichter in den kreativen Fluss.

Wann kamst du auf die Idee nicht nur Schlagzeug zu spielen, sondern auch selbst zu produzieren?

Es hat mit dem ersten Album von SK Invitational begonnen. Ich wurde gefragt, ob ich Interesse hätte, mich an der Produktion zu beteiligen und hab dadurch die ersten Schritte gemacht. Da SK Invitational ein Big Band – Hip-Hop Projekt ist, habe ich durch die spezielle Besetzung (u. a. 2 Schlagzeuger) sehr schnell, viel lernen müssen, damit die Produktion insgesamt rund klingen konnte und nicht überladen war. Danach hat sich meine Arbeit mit Lylit durch den Plattendeal bei Motowns früherem CEO Kedar Massenburg intensiviert. Die Aufnahmen im Stadium Red Studio in NYC haben mich extrem gefordert und weitergebracht.

Ja, bei zwei Schlagzeugern muss man bestimmt einen perfekten Dialog bzw. abgestimmten Ausgleich finden, damit das Arrangement nicht an Informationen platzt – klingt sehr spannend! Wo liegen für dich weitere Parallelen zwischen der Produzenten-Rolle und dem Schlagzeugspielen?

Meiner Meinung nach braucht man als Schlagzeuger und Produzent eine gewisse Art von Fingerspitzengefühl. Die Guidance, die man Künstler*innen als Produzent geben möchte, verlangt viel Einfühlungsvermögen. Man ist ein Leithammel und dann auch wiederum nicht. Als Schlagzeuger hat man ähnliche Verantwortungen. Denn obwohl man nicht ganz vorne auf der Bühne steht, hält man alles zusammen und versucht den Überblick zu behalten.

Welche Projekte hast du in letzter Zeit produziert?

Lylit »Inward Outward« (VÖ: Nov 2019); Lylit upcoming Album (VÖ: 2021); Kalina (VÖ: Herbst 2020);

Gibt es derzeit Entwicklungen in der Musik, die du überhaupt nicht nachvollziehen kannst, oder bist du da für alles offen?

Generell würde ich mich als offenen Musiker bezeichnen. Die Entwicklung dahingehend, dass jede Musiker*in alles selber machen muss (Label, Promo, Social Media, u. v. m.) finde ich sehr bedenklich. Die Situation, in der wir alle stecken, ist fern von ideal. Die Abrechnung der Streaming-Dienste muss dringend verbessert werden, damit die ungerechte Tantiemen-Verteilung ein Ende nimmt. Aufgrund des immens umkämpften Markts (der noch dazu immer kleiner zu werden scheint), zielen die 3 großen Labels fast nur noch darauf ab, „Industriemusik“ zu pushen. Damit meine ich jene Popmusik, die in den großen Radios auf- und abgespielt wird, bei der meist dieselben Produzenten, für die verschiedensten Künstler, die oftmals gleiche Nummer in leicht variierenden Farben produzieren. Ich wünsche mir, dass der Markt bald wieder eigenständige Musik fördert.

Wärst du auch interessiert mal bei einem Post Punk- oder Cloud Rap-Projekt zu spielen?

Wenn die Tracks mit mir resonieren, dann sehr gerne.

Hast du denn einen Lieblingsgroove? Spielst du bspw. lieber verjazzte Neo-Soul Beats oder stehst du manchmal auch genauso auf 4-to-the-floor Disco-Grooves?

Nein, Lieblingsgrooves habe ich nicht wirklich. Ich liebe den „Viertel-Puls“ am Ride Becken im Jazzkontext, spiele aber genauso gerne Quintolen- Beats oder vermeintlich simple, immer gleiche Grooves. Ich genieße es außerdem, mit großartigen Musikern zu spielen. Das Schönste ist, wenn sich alle auf die Musik zu 100 % einlassen und dadurch zu einer Einheit verschmelzen.

Was war deine bisher absolut schönste Live-Erfahrung?

Eine der absolut schönsten Erfahrungen habe ich mit Lylit in Uganda machen dürfen. Wir wurden eingeladen, beim Festival in Kampala aufzutreten. Die Kombination aus der unfassbar schönen Natur und der grenzenlosen Gastfreundlichkeit, mit der uns begegnet wurde, wird mir immer in Erinnerung bleiben. Wir sind dort nicht nur mit Lylit aufgetreten, sondern waren auch Teil eines größeren Kunstprojekts. Früher waren die Stämme, die durch den Nil getrennt waren, verfeindet. Kinder durften nicht mit Kindern des anderen Nilufers spielen und es galt als Tabu, sich mit Menschen der anderen Seite einzulassen. Als Symbol der Verbindung mit uns Europäern haben zwei ansässige Musiker*innen ein Lied geschrieben, das unterschiedliche Grooves zweier Stämme verband. Diese Kollaboration mit den dort ansässigen Musiker*innen und die Vereinigung dieser beiden Grooves als Zeichen der Solidarität aller Stämme und Hautfarben, werde ich nie vergessen.

Das klingt wirklich sehr schön. Zurzeit ist ja leider nichts mit live: Wie gehst du persönlich mit der Corona-Situation um? Versuchst du umso mehr Zeit im Studio zu verbringen, unterrichtest du per Videochat, oder hast du dich vielleicht sogar an anderen, neuen Hobbys versucht?

Ich versuche das Beste aus dieser Restriktion zu machen und arbeite mit meinen Bands an neuem Material und produziere daneben auch noch zwei Künstlerinnen, die bald ihr Debüt geben werden. In meinem Alltag dreht sich alles um den kreativen Prozess, der halt jetzt auf Studioarbeit begrenzt ist. Es ist mir wichtig, meinen Tag klar zu strukturieren, aber immer Platz für Inspiration zu lassen. Das hilft mir, in dieser Zeit kreativ zu sein.

Was würdest du jungen Schlagzeugern gerne mit auf den Weg geben?

Ich finde es enorm wichtig, als Schlagzeuger den Fokus nicht nur auf das eigene Spiel zu legen, sondern den Mitmusikern gleichzeitig zuzuhören. Die Aufmerksamkeit fürs Ganze hilft besonders im live- Kontext, musikalisch die richtigen Entscheidungen zu treffen. Richtig viel zu üben, schadet natürlich auch nicht.

 

Foto: Hanna Fasching