D.I.Y. vs. Ausbildung in der Musik – Kann man Kreativität lernen?

D.I.Y. – also ‚do it yourself‘ – oder auch autodidaktisches Lernen in der Musik ist vermutlich so groß wie noch nie zuvor. Von Apps, die einem bestimmte Instrumente beibringen, über Tutorials zum Musikproduzieren, bis hin zu kostengünstigen Geräten für das eigene ‚bedroom studio‘ – die Welt steht einem offen.
Doch was kann D.I.Y. im Vergleich zu einer konventionellen Ausbildung? Was kann man dort lernen und was nicht? Welchen Stellenwert hat eine musikalische Ausbildung in diesem von Selbstermächtigung geprägten Zeitalter? Wir haben österreichische Kunstschaffende befragt und sind zu spannenden Erkenntnissen gekommen.
von Clara Pacher

 

 

„Ich hatte sehr früh den Drang, Musik zu produzieren, aber keinen Plan, wie sowas abläuft. Ich wusste damals auch noch nicht, dass man das alles googlen kann.“ – Moritz Köller

Autodidakten sind Personen, die sich bestimmte Fertigkeiten im Selbststudium aneignen. Dabei fungieren sie als Lehrende und Lernende zugleich. Aus der erleichterten Zugänglichkeit dieses Ansatzes geht ein regelrechter Trend hervor. Sogenannte ‚bedroom artists‘ – meist junge Singer-Songwriter, die zu Hause schreiben, aufnehmen und produzieren –  haben eine neue Ära des Musikmachens eingeleitet. An der populären Spitze dieser Bewegung stehen Künstler*innen wie Clairo und Billie Eilish. Doch was begründet diesen Trend? Ist es wirklich nur die verbesserte Verfügbarkeit von Ressourcen oder birgt autodidaktisches Lernen Erfahrungen, bei denen eine konventionelle Ausbildung schlichtweg nicht mithalten kann?

„Ich  glaube, ich kann mit Fehlern besser lernen. In meinem Kopf ist es dann besser verankert, als wenn ich es nur richtig vermittelt bekomme.“ – Moritz Köller

Moritz Köller –  Musiker, Produzent und Director (XING, Anger, Holli) – spricht hier einen wesentlichen Bestandteil des D.I.Y-Prozesses an: Lernen durch Versuch und Irrtum. Er ist auch bestimmt nicht der Einzige, dem es leichter fällt, auf diese Weise zu lernen. Neuropsychologische Studien legen nahe, dass Lernerfahrungen, die auf einem persönlichen Irrtum basieren, tiefer in unserem Gehirn verarbeitet werden.

Gleichzeitig drängt sich hier die Frage auf, ob das nicht der Ansatz ist, der sich am besten eignet, um kreative Fertigkeiten zu erlernen. Denn Kreativität wird definiert als die Fähigkeit zu originellen, schöpferischen und zweckdienlichen Leistungen. Vor allem aber, weil sie sich durch flexibles und divergentes Denken auszeichnet, das nach alternativen Problemlösungen sucht.
Doch was wäre denn dann der Vorteil einer konventionellen Ausbildung?

„Es ist super, jemanden zu haben, der den „korrekten“ Weg kennt und mal schneller herleiten kann, warum etwas grad weird klingt.“ Ezgi Atas

So spricht Ezgi Atas von Aze über die Zusammenarbeit mit dem Produzenten Jakob Herber, der eine Ausbildung im Bereich Musik abgeschlossen hat. Auch die Autodidaktin Beyza Demirkalp von Aze und Moritz Köller meinen, dass eine musikalische Ausbildung manchmal eine Art der Abkürzung bieten kann. Theoretisches Hintergrundwissen erleichtert es oft effizienter zu arbeiten, Zeit zu sparen und Fehlerquellen zu vermeiden.
Die Musikerin XING hat ein Jahr außerordentlich  ‚Jazz/Pop-Gesang IGP‘ studiert und die Erfahrung gemacht, dass auch die Vernetzung und Routine, die man dort erlebt, sehr hilfreich sein können. Außerdem bietet die Ausbildung in Instrumental- und Gesangspädagogik (IGP) die Möglichkeit beruflicher und somit finanzieller Sicherheit.

„Ich muss nichts tun was ich nicht will, keiner zwingt mich. Die Kreativität bekommt Zeit und man nimmt sich Zeit, um inspiriert zu werden.“ – XING

Das ist etwas, das viele in einer musikalischen Ausbildung vermissen. Man wünscht sich mehr Freiraum, mehr Flexibilität und mehr Offenheit für moderne Zugänge. Raus aus alten Denkmustern und rein in die Praxis. Denn das, was alle hier befragten Künstler*innen vereint, ist die Freude am Ausprobieren: sich selbst kennenzulernen, die eigenen Stärken und Schwächen zu eruieren und einfach zu machen, worauf man Lust hat.
Doch genau diese ständige Auseinandersetzung mit sich selbst macht nicht immer nur Freude.

„Die Highs sind high, aber die Lows sind auch low.“ – XING

Die Kunst sehr vieler Musiker*innen lebt von einer nahezu unaufhörlichen Auseinandersetzung mit deren Befindlichkeiten und dient oft der Bewältigung ansonsten nur schwer verarbeitbarer Emotionen.
Sollte man in einem Bereich, dem sich viele als Selbsttherapeutikum zuwenden, nicht auch Aspekte wie ‚Mental Health‘ in das Curriculum aufnehmen?

„Ohne Praxiserfahrung ist jede Theorie nur eine Theorie und ohne Theorie bzw. Struktur ist jede Praxiserfahrung die Hölle.“ Ezgi Atas

„Durch Praxis und Übung kommt man meiner Meinung nach –  vor allem im kreativen Bereich – viel weiter, als nur mit einer theoretischen Ausbildung. Die Kombination von beiden wäre wahrscheinlich die beste Option.“ Beyza Demirkalp

Die Auflösung der Gegenüberstellung ‚D.I.Y. vs. Ausbildung‘ liegt vermutlich wie so oft in der Mitte. Auch Moritz Köller hat die Erfahrung gemacht, dass er trotz seines Studiums in ‚Medientechnik‘ bei jedem Projekt dazulernt. Eine konventionelle Ausbildung ohne D.I.Y. gibt es also vermutlich kaum. Es besteht eine Hassliebe zwischen Theorie und Praxis, innerhalb derer es eine Balance zu finden gilt.

„Alles was ich je gelernt hab, ganz gleich ob aus der Musikschule oder aus dem Leben, verändert mich ständig und hilft mir dabei, meine „Essenz“ zu kristallisieren.“ Ezgi Atas

 

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