A Horse With No Name: Die Band Das Weiße Pferd

391994_10150474821809236_473784371_nBeharrlich sengt die goldene Flamme des großen Feuerballs auf den pittoresken Landstrich, der irgendwann einmal San Fernando geheißen hatte, bevor sie ihn Inland Empire nannten. Ein weißes Pferd erscheint. Es kennt die Gegend von früher. Sie ist sein entvölkerter Mythos, paradiesisches El Dorado vor der Vertreibung. Von Martin Macho in Kooperation mit mica – www.musicaustria.at

Ein gelungenes Popalbum birgt in sich die Gefahr – oder sollte man sagen Chance – anhaltender Nachwirkungen. Wenn man seine Einzelteile nach dem ersten Durchlauf erst mühsam wieder zusammensetzen muss, wenn Zweifel zerstreut werden müssen, während man an der Zerstreuung verzweifelt, hat die Musik einiges richtig gemacht. Das Weiße Pferd spielt solche Musik auf „Inland Empire“. „Ein Herauskommen bei klarem Verstand ist nirgends drin“, ventiliert Sänger Pico Be in den erläuternden (?) Notes zum Album. Gut so.

Seltsamer als das Paradies

Viele „Vielleicht“, viele „Oder“ drängen sich rund ums Inland Empire. „Uns interessieren Fehler und falsche Herangehensweisen“, sagt Pico. Texte entziehen sich den gängigen Regeln der Reimstruktur, wirken wie spontane Eruptionen des Geistes, gleiten ins Absurde ab. Keiner kennt sich aus. Unbestimmbarkeit als Konzept? Vielleicht, oder… Die 2009 gegründete deutsch-österreichische Band inszeniert ein surreales Pop-Varieté, ein Stehgreif-Theater auf der imaginären Bühne. Dazupassendes Detail: die getragene Stimme von Pico Be ähnelt frappant der des deutschen Schauspielers Martin Wuttke.

Bleibt man bei der mimischen Dimension der Songs, könnte man sich schnell dazu versteigen: David Lynch macht mit Jim Jarmusch Musik. „Stranger Than Paradiso“ hieß dann auch ein Stück aus dem ersten Album „San Fernando“ (2010), in Anlehnung an den Jarmusch-Kurzfilm aus 1984. „Es ist sowieso das, was der Hörer daraus macht“, schreibt Das Weiße Pferd im Pressetext auf der Homepage seiner Plattenfirma. Independent – unabhängig.

Zwei Alben hat Das Weiße Pferd bis jetzt produziert. Eben „San Fernando“ und „Inland Empire“, das am 18.10. 2013 erschien. Songs mäandern leise dahin. Sie bleiben sachte, trotz ihrer gewaltigen Kraft. Seltsamer als das Paradies. Das Weiße Pferd als Paradoxon. Pico Be bestätigt: „Es ist poetische Musik, die Ruhe und Frieden vortäuscht, aber auch eine dunkle Seite hat. Wir versuchen Songs zu machen, die einerseits die Stimmung unserer Zeit spiegeln und gleichzeitig woanders hin verweisen.“

DWPAmericana – das Wort drängt sich irgendwie auf, wollte man einen Namen finden für die Form, in der die Vaudeville-Show des weißen Pferdes gegossen wird. Americana also, die wohlfeile Bezeichnung der Popchronisten für die Vereinfachung des Rock´n´Roll nach US-Roots-Schablone. Aber Americana mit Marimbas, Tablas und verkehrt abgespielten Gitarrenpassagen. Also, dann doch lieber Psychedelic Americana. Und deutschen, manchmal spanischen Texten dazu. Vielleicht Psychedelic Kraut World Americana.

Auf der Flucht

Von der großen Freiheit ist da die Rede, oder von der blauen Magie. Begriffe, die Weite, Grenzenlosigkeit vermitteln. Espacio, also Raum. Frei sein, der Verstandeshygiene halber. Das Weiße Pferd ist so frei, und gibt gerade den Alltagsbanalitäten Raum: „Die Mutter hört stundenlang Telefonstimmen zu und sagt Ja, ja“ („Höhere Gewalt“). Das Freiheitssehnen erfüllt sich im Raum der winzigsten Nebenschauplätze.

Die Flucht wird hier nach hinten angetreten – Roger Waters nannte das 1977 in seiner eigenen Tiergeschichte „A shelter from pigs on the wing“. Ja, das Mikroko(s)mische wird existenzieller Zufluchtsort, ehe Das Weiße Pferd am großen Schwein der unguten Moderne irrewird: „Der Raum hatte vier Ecken/Wir bekamen blaue Flecken/Versuchten uns herauszudrehen“ („Große Freiheit“). Band On The Run.

Das Weiße Pferd ging auf Motivsuche und empfahl sich die pralle Gegend des Hinterlandes von Los Angeles, Inland Empire. Am Cover tritt uns der Schimmel in seiner vermenschlichten Vielzahl entgegen. Mit nichts als ihrer nackten Haut lungern sie herum, verrichten allenfalls ihre Turnübungen. Die Banalitäten, da sind sie wieder. Dolce far niente, paradiesischer Urzustand vor der Vertreibung. Die Blöße macht sie gleicher als gleich. Die Kommunarden bleiben anonym, das Pferd unbestimmbar, A Horse With No Name. Unbestimmbarkeit als Konzept? Vielleicht doch.

cover+das+weiße+pferd„Inland Empire“ (LP+CD) erschienen bei

Die Echokammer (VÖ: 18.10. 2013)

 

 

 

Das Weiße Pferd im Internet:

www.dasweissepferd.de

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Fotos:

Title: © Das Weiße Pferd

Band: © Anna McCarthy