Porgy & Bess – the show must go on(line) again

Mit dem Titel »The show must go on(line) again« und unter dem passenden Motto „Welcome to the virtual Club!” bietet die Live-Location Porgy & Bess, seit Beginn der Pandemie regelmäßig bis täglich Konzert-Live-Streams an. Ein Angebot das nicht nur dem musikaffinen Publikum entgegenkommt, sondern auch Musiker*innen und den sogenannten „Music-Workers“. Der künstlerische Leiter des legendären Wiener Jazzclubs Porgy & Bess, Christoph Huber, hat uns erzählt, wie sie auf die Idee gekommen sind und warum sie beim ersten Lockdown nicht sofort den Kopf in den Sand gesteckt haben.
von Patrick Tilg

Von Live-Streams kann man halten was man will, aber was das in Wien ansässige Porgy & Bess betreibt, ist jedenfalls sehr bewundernswert. Seit Beginn des letzten Lockdowns bespielen sie ihre Bühne täglich(!) mit Musik – so ein langes Improvisationssolo muss erst einmal durchzuhalten sein. Wir haben nachgefragt wie sich das alles ausgeht und was die Motivation dahinter ist.

Lieber Christoph, wann habt ihr mit „The show must go on(line) again“ gestartet?

In den ersten Wochen der Pandemie wurde klar, dass so schnell wohl nicht mit Live-Betrieb zu rechnen sei, und wir überlegten, was wir sinnvollerweise tun könnten, um zumindest eine Jazz-kulturelle Grundversorgung zu gewährleisten. Aus dem Archiv zu streamen erschien uns nicht wahnsinnig originell und nachdem publik wurde, dass Musiker*innen prinzipiell ihrer beruflichen Tätigkeit nachkommen dürfen, solange kein Publikum zugegen sei und solange auf der Bühne ein Abstand von einem Meter eingehalten werden kann, entschlossen wir uns, „live-live“ zu streamen. Also Konzerte zu übertragen, die in diesem Moment über die Bühne gehen. Ist das Konzert vorbei, endet auch der Stream unwiderruflich. Da kam mein Freund Friedemann Derschmidt ins Spiel, mit dem wir über die Jahre hinweg immer wieder unkonventionelle und kreative Projekte realisierten („Komm und sieh Rudyn“, „Gipsy-World“, „Bitte helfen Sie uns nicht – alleine ist es schwer genug“ …) und der in Zusammenarbeit mit dem Medienlabor der Akademie der bildenden Künste ein Live-Streaming-Konzept aus dem Boden stampfte, das wir auch wirklich flott in die Realität umsetzten. „The show must go on(line)“ heißt die Serie, die ab dem 4. April zweimal wöchentlich heimische Bands präsentiert und via Stream „in die Welt“ transportiert. Diese Reihe war bis Ende August konzipiert, weil die Politik ursprünglich vermeldete, dass bis dahin an keine Veranstaltungen zu denken sei. Gestartet wurde mit dem famosen Duo 4675 der Geschwister Wiesinger, und auch wenn die genaue Zuschauer/hörer*innen-Zahl nicht zu eruieren ist, bemerkten wir rege Anteilnahme, unter anderem auch, weil knapp 150 Personen den „Pay as you wish“-Button benutzten. Bei der Pressekonferenz der Regierung am 15. Mai wurde verkündet, dass man ab dem 29. des Monats Veranstaltungen bis zu 100 Personen abhalten dürfe, vorausgesetzt es kann ein Abstand von mindestens einem Meter zwischen den einzelnen Personen gewährleistet werden. Wir nutzten diese Möglichkeit und öffneten zu allen „The show must go on(line)“-Konzerten eingeschränkt die Club-Pforten für das Publikum. Live-Streaming with live audience! Das erste Konzert war zufällig jenes von Wolfgang Muthspiel, der ein rares und viel beachtetes Solo-Konzert gab, das auch international rezensiert wurde und womit es das P&B sogar in die ZIB 1 schaffte. Die Atmosphäre im Club war fantastisch, das anwesende Auditorium euphorisch und Muthspiel in Höchstform! Eine bessere Wiedereröffnung ist wohl schwer vorstellbar. Offiziell abgeschlossen wurde diese Serie Ende August mit einem dreitägigen Festival mit dem Titel „A.E.I.O.U. – Austria erit in orbe ultima“ mit insgesamt 9 Formationen austriakischer Kingsize-Talents wie Georg Vogel, Elias Stemeseder, Judith Ferstl, Ralph Motwurf, Beate Wiesinger, David Six, Michael Naphegyi, Primus Frosch, Simon Raab, Vicky Pfeil … Es gab zwischen Anfang April und Ende August insgesamt 50 Abende unter dem Label „The show must go on(line)“, 16 davon ohne Publikum, also „nur“ im Stream und 34 mit Publikum, was rund 2000 Besucher*innen nutzten.

Wann seid ihr auf die Idee gekommen, das Ganze wirklich täglich durchzuziehen? Ab dem 1. September gingen wir wieder zu einem täglichen – noch mehr oder weniger regulären – Betrieb über und haben alle Abende bespielt – teilweise auch mit internationalen Formationen, wie z. B. dem „Orchestre National de Jazz“ aus Paris. Es wurde keine einzige Covid-Übertragung bekannt, was wohl auch daran liegt, dass wir uns strikt an alle Vorgaben halten und auch das Publikum ein hohes Maß an Sozialkompetenz aufweist und z. B. die Maske dort trägt, wo sie verlangt wird (also überall außer am Sitzplatz). So wie es aussieht, ist die „Kultur“ kein guter Nährboden für diese Frechheit von Virus. Trotzdem wurden wir schlussendlich Anfang November wieder behördlich geschlossen. Ende September öffnete die Akademie der bildenden Künste wieder ihre Pforten, also mussten wir das Kamera-Streaming-Equipment zurückgeben. Aber es war von Anfang an klar, dass wenn wir diese gesamten Vorkehrungen treffen (Einbindung in unserer Homepage, notwendige Server, diverse Programmierprozesse…), wir auch weiterhin parallel zu den Live-Konzerten alternativ den Stream anbieten wollen. Das bedurfte einer finanziellen Investition, die gerade in derartigen Zeiten eher mühsam ist, aber wir haben uns dafür entschieden, und zwar auch deswegen, weil wir der Überzeugung sind, dass wir dadurch auch ganz neue Publikumsinteressen wecken können bzw. Menschen erreichen, die, aus welchen Gründen auch immer, sowieso nicht in den Club kommen können. Das „Pay-as-you-wish“-System wird beibehalten und es wird am Aufbau einer Mediathek gearbeitet, wo dann „on demand“ Konzerte gegen Bezahlung abgerufen werden können.

Und gab es tatsächlich keine Ausnahmen, bspw. wenn ein Act abgesagt hat? Wenn ein Konzert nicht live stattfand, dann aufgrund des Umstandes, dass Musiker*innen nicht konnten oder wollten. In solchen Fällen haben wir dann aus dem Archiv einen Stream, quasi als Ersatz gesendet, d. h. der „virtulle“ Club war/ist bis heute tatsächlich täglich geöffnet.

Wie eingangs schon kurz erwähnt, ist der Konzertbetrieb nicht nur für Musiker*innen wichtig, sondern auch für alle Personen, die bei einem Konzert indirekt involviert sind. Wie viele Leute sind dann pro Streaming-Konzert vor Ort im Einsatz und gehen sich reguläre Gagen für alle aus?

Im Schnitt neben den Musiker*innen 6 – 8 Personen. Neben der künstlerischen Leitung, meist Assistent*innen, oft Fotograf*innen, hin und wieder Journalist*innen, mitunter auch Manager*innen oder anderen Veranstalter*innen. Mit den staatlichen Entschädigungen bzw. mit der Kurzarbeitsunterstützung haben wir alle Mitarbeiter*innen (inklusive geringfügig Beschäftigte) regulär bezahlt. Auch alle Musiker*innen erhielten und erhalten auch weiterhin eine reguläre Gage.

Wie wurde der „Pay-as-you-wish-Button“ beim Publikum angenommen? Hat es von Anfang an gut funktioniert oder mussten sich die Zuhörer*innen erst daran gewöhnen?

Wir hatten in den letzten Monaten im Schnitt zwischen 200 und 300 „unique visitors“ täglich, nie unter 100 und 1300 als Spitze. Über den Daumen „donaten“ 10-20 % dieser „visitors“, und zwar im Schnitt knapp 20.-€. Als Live-Publikum zulässig war, also zwischen Ende Mai und Anfang November, gingen diese Zahlen etwas zurück, im 2. Lockdown stiegen sie wieder. Es dauerte eine Weile, bis sich die Information, dass wir streamen verbreitete.

Ihr seid ja bestimmt im Austausch mit anderen Wiener Clubs – wie prekär ist die Lage da oder konnten sich die meisten dann doch mit Beihilfen und ähnlichen Streaming-Konzepten übers Wasser halten?

Die staatlichen Unterstützungen waren für alle gleich, das heißt bspw. 80 % vom November und 50 % vom Dezember-Umsatz plus diverse andere Unterstützungen (NPO-Fond, Club Commission…). Mit diesem Geld müssten wohl alle ganz gut über die Runden gekommen sein, noch dazu, wo viele ja nicht wahnsinnig aktiv waren.

Wer also die Zeit bis zum 19. Mai schneller totschlagen will, sollte sich noch den ein oder anderen Live-Stream vom Porgy & Bess oder von Clubs mit ähnlichen Konzepten ansehen und dann vor allem auch spenden! Damit die Live-Kultur auch in Zukunft gelebt werden kann. Und auch wenn sich die meisten einig sein werden, dass virtuell Live-Streams nie das Erlebnis eines realen Konzerts nachahmen können, sind Projekte wie „The show must go on(line) again“ sehr relevant für die Kulturlandschaft. Bleibt nur noch zu hoffen, dass bei Entscheidungen über Schließungen der Kulturstätten in Zukunft beachtet wird, dass aus ebendiesen bis dato kein Cluster hervorging.


Fotos: Eckhart Derschmidt