Culk „Zerstreuen über Euch“
Gender Gap, Post-Punk und 2020? Ein Jahr nach ihrem selbstbetitelten Debütalbum melden sich Culk mit einer poetischen Sammlung im post-punkigen Shoegazemantel zurück. Das Album „Zerstreuen über Euch“ (Siluh Records) ist eine lyrische Kampfansage gegen das Patriarchat.
Nora Blöchl
Das Quartett, bestehend aus Sophie Löw (Gesang, Gitarre, Synthesizer), Johannes Blindhofer (Gitarre), Benjamin Steiger (Bass, Gitarre) und Christoph Kuhn (Schlagzeug), vermischt klare Gitarrenklänge, verhallte Gesänge und straightes Schlagzeug mit (zer)denkerischer Sprache. Mit Musikproduzent Wolfgang Möstl (Nino aus Wien, Voodoo Jürgens, Dives) an der Seite, stellen uns die Vier ein Album vor, welches ihrem ersten in keiner Weise nachsteht.
Umwoben von düsteren Klängen bewegt sich ihre Musik zwischen Siouxsie and the Banshees und Sonic Youth und erinnert an andere melancholische Erscheinungen aus den 80ern. Doch altabgedroschen klingt das Album auf keinen Fall – die außergewöhnlichen, deutschen Gesänge und die schwelgenden Riffs geben der Musik eine einzigartige Atmosphäre und bringen den Post-Punk erfolgreich zurück in das 21. Jahrhundert.
Thematisch führt das Album aber in gegenwärtige Diskurse und bewegt sich wie durch eine Galerie mit akustischen Bildern, in denen Missstände der Geschlechter-Machtverhältnisse verarbeitet wurden. Begrüßt werden die Hörenden mit Orgelklängen und den Worten „Wir warten, wir erwarten, wir gleichen, wir vergleichen, wir gleiten, wir entgleiten euch“ im ersten Song („Leuchten und Erleuchten“) und zieht weiter in die „Nacht“, in der Frauen die Straßenseite wechseln, um den nächtlichen Nachhauseweg gut zu überstehen.
Der Song „Dichterin“ entführt in die Welt der Sprache und zieht mit der sprachlichen Ignoranz in den Kampf. Mit „Ich bin kein Dichter, doch ich schreibe Gedichte“, singt Sophie Löw über das Fehlen des Geschlechter-Aspekts in der Sprache. Als Dichterin sind für sie Musik und Text gleichgestellt und ergänzen sich gegenseitig. „Mein Wunsch war es diesmal, konkreter zu werden in den Texten. Zwar schon alles in einem lyrischen Mantel, aber es soll verstanden werden.“, erzählt sie in einem Interview.
„Helle Kammer“ beleuchtet die untergeordnete Rolle, in der sich Frauen in Familie, Beziehung, Arbeit und Gesellschaft immer wieder finden müssen. „Mehr, mehr, mehr“ schreien die Stimmen und „er sagt gierig: Beweg dich, errege dich für mich.“
Sängerin Sophie Löw liefert aber keine Rezepte gegen Sexismus und veraltete Normen, sondern zeigt Verhältnisse auf. Gesungen wird zwar in der Ich-Form, die Erlebnisse sind aber nicht individualisierbar und wahrscheinlich jeder Frau bekannt. Welche Frau hat sich nicht schon einmal die kurze Hose lang gewünscht, um beim Nachhauseweg Blicke nicht auf sich zu ziehen oder sich selbst gefragt, warum sie da jetzt genau mitspielt. „Du musst erst benennen, um zu erkennen, um davor wegrennen zu können“ ist im Song „Jahre später“ zu hören.
„Zerstreuen über Euch“ wühlt auf, beantwortet, stellt Fragen und zerstreut sich über uns. Insgesamt ist es ein gelungenes Album mit Konzept, das hoffentlich bald auch wieder auf die Bühnen gebracht werden kann.
Fotos: Antonia Mayer und Sophie Löw